ERZHERZOG LUDWIG SALVATOR Der Prinz des Mittelmeeres
Druck und Verlag: Heinrich Mercy, Prag (1881) und Woerl´s Reisebibliothek, Würzburg und Wien
Erschienen: 1881 und 1883
Oktav, 88 Seiten, 23 Holzschnitt-Tafeln.
Tagebuchartige Beschreibung einer unfreiwilligen Weltreise rund um den Besuch der Weltausstellung in Melbourne / Australien.
AUS DER BIOGRAFIE LEO WOERLS MIT ORIGINALZITATEN:
In schlichter Weise erzählt Erzherzog Ludwig Salvator, wie sein Buch über die fünf Erdteile entstanden und wie es zugleich kam, dass er, ohne die Absicht dazu, eine Reise um die Erde machte.
„Von meinem Winterausfluge zurückgekehrt“, heisst es im Vorwort, „frugen mich viele Bekannte, wo ich war und was ich gesehen habe. Da es zu lang und allzu langweilig gewesen wäre, allen immer wieder das Nämliche zu erzählen, so entschloss ich mich, mein Logbuch drucken zu lassen und ihnen ein Exemplar desselben als Antwort zu schicken. Es ist kein Buch, es sind nur Notizen, wie sie täglich aufgezeichnet wurden, an denen ich nichts geändert habe, um denselben gewissermassen die Natürlichkeit des momentanen Eindrucks zu belassen.“
Was den Titel des Werkchens betrifft, so giebt uns der Verfasser hierüber die Aufklärung. Er hegte die Absicht, die Ausstellung in Melbourne im Jahre 1881 zu besuchen und gleichzeitig einen Blick auf die verschiedenen Kolonien Australiens zu werfen. Da in Sydney auf dem regelmässigen grossen Postdampfer entsprechende Plätze nicht mehr zu erhalten waren, musste er sich entscheiden, mit seinem kleinen Gefolge entweder mehrere Wochen die Abfahrt zu verzögern, um sodann auf einem kleineren unbequemen Schiff über Indien heimzukehren oder die Rückreise sofort über Amerika anzutreten. Erzherzog Ludwig Salvator entschloss sich für das letztere und machte dadurch ganz unerwartet „eine Reise um die Erde, ohne es zu wollen“
Die erste Auflage des Buches im Jahre 1881 erschien ohne Illustrationen, um die Herausgabe nicht allzusehr zu verzögern. Schon im Jahre 1883 wurde eine Neuauflage mit 100 aus den mitgebrachten Skizzen ausgewählten Bildern veröffentlicht, damit der Reiselustige daraus ersehe, wie leicht, wie rasch und wie billig man heutzutage um den Erdball fahren könne.
Die Sprache des Logbuches – dass man ein solches vor sich hat, darf man freilich nicht vergessen – ist äusserst schlicht und anspruchslos, man möchte sagen, von gesuchter Einfachheit und doch spricht das Buch den Leser sympathisch an, die natürliche Frische und Lebhaftigkeit der Schilderungen verleiht ihm einen eigentümlichen Reiz; die vorgeführten Bilder lässt man wie ein hübsches, höchst anschauliches Panorama an sich vorüberziehen.
Die Reise geht am 1. Januar 1881 von Venedig über Bologna und Brindisi nach Alexandrien. Der „Bangalore“, welcher ausser der indischen auch die chinesische und australische Post mitführte, hatte nicht weniger als 900 Postsäcke an Bord und legte die 825 Seemeilen betragende Entfernung von Brindisi nach Alexandrien in 76 Stunden zurück; die Fahrt durch den Kanal nach Suez (224 engl. Meilen) nahm ungefähr 10 Stunden in Anspruch, wovon 1 ½ Stunden auf den Aufenthalt in den verschiedenen Stationen gerechnet werden müssen.
„Prächtig beleuchtet erscheinen die kahlen, aber schön gezeichneten Gestade des Golfes von Suez, mit sandigen Ufern und horizontal gezogenen Schichtungen der bankartig geformten, tiefdurchfurchten Hügel. Man sieht wie einen Pfeiler den Leuchtturm von Zafferana emporragen und, weit im Hintergrunde auftauchend, den in luftiger Ferne stehenden, zackigen Dschebel el Garif.
Am 12. Januar hatten wir die phantastischen, wie Hörner gezeichneten Felsenkegel von Dschebel Hassan vor uns und hinter einer flachen Ebene den malerisch emporragenden Berg von Aden, das Gibraltar des Ostens. Die afrikanische Küste wird sichtbar, in langgezogenem Bergrücken bis Kap Gardafui, und durch den Kanal zwischen Lakkadiven und Malediven führt uns das Schiff, unter tropischen Regenschauern, am 20. Januar nach dem an Kokosnus- und Brotbaumwaldungen reichen Ceylon.
Ich nahm ein Kanoe von den Eingeborenen, mittels welchem ich, dank zweier Rupien, mit unglaublicher Raschheit ans Land kam. Ich blickte erstaunt auf diese seltsame Welt, die sich vor meinen Augen eröffnete. Kokospalmen vor mir, Kokospalmen zu meiner Rechten und Kokospalmen hinter mir, über welche, wie in einer Glorie von Hosianna, die Kathedrale blendend weiss und weit sichtbar emporragte. Am Lande angekommen, hatte ich Mühe, mir auf dem hölzernen Molo Bahn zu brechen, der mit einer Unzahl von Leuten, welcher die Hadjis zu bewillkommnen kamen, gefüllt war. Es waren halbnackte Gestalten, die den Mund mit Betel rot gefärbt hatten, einige aber mit recht schönen Gesichtern, und dabei ein Schreien und Sprechen, wie ein dumpfes Meeresgetöse.
Wir fuhren an der ziemlich grossen anglikanischen und der kleineren holländischen presbyterischen Kirche vorbei zur katholischen Kirche. Kinder kamen uns entgegen, bekreuzten sich und pflückten uns Blumen. Unterwegs boten sich uns die seltsamsten Scenerien. Die eleganten Häuser der Singhalesen, an denen wir vorbeikamen, haben von Mauersäulen getragene Gitterverandas und eine Art Vorhangwand vor dem Eingang, die dem Vorübergehenden einen Blick in das Innere des offenen Hauses nicht gestattet. Jenseits des Flusses liegen armselige Hütten, aus Matten geflochten; aus denselben lachen Knaben hervor, die Arme mit Ringen geschmückt und einen Silberreifen um die Hüften, sonst aber nackt. Andere traben dem Wagen nach, schlagen sich auf die Brust und den Kopf, dass es schallt und bitten um einen Bakschisch. Bei der Rückfahrt besuchen wir einen buddhistischen Tempel.
Seltsame Vögel beleben die Lüfte, braune und schwarze, rabenartige Vögel mit kurzem Schnabel, drosselartige, die auf den Zäunen hüpfen, und dabei den Schweif heben, seltsame Stelzer, die in den nahen Reisfeldern, von Kokoswaldungen umringt, gravitätisch einherwaten. Inmitten der üppigsten Kokospalmen erhebt sich der Tempel, ein einfaches Gebäude, zu dem Stufen hinaufführen und mit den Anfängen einer Pagode. Wir fanden darin eine sitzende und zwei stehende Statuen des Buddha, von deren ersterer ein Schleier herabhängt, und auf der Wand gemalt einen Brahma mit vielen Händen und einen Vischnu in blauer Farbe. Rings um das Gebäude läuft eine Art Korridor, welcher ganz mit Darstellungen aus dem Leben Buddhas in roher Ausführung bemalt ist. Seltsam sind die Gemälde, welche die Hölle mit grässlich zerfleischten Verurteilten darstellen.
Das Schiff setzte sich nach 8 Uhr in Bewegung und wir dampften in die dunkle, aber ruhige Nacht hinaus. Die Fahrt durch den Indischen Ozean bietet keine bemerkenswerten Momente. Bei ruhiger See und günstiger Brise gleitet der Dampfer mit einer Geschwindigkeit von 12 ½ Seemeilen in der Stunde dahin. Die Monotonie des Lebens an Bord wird einigermassen durch Musik und Tanz auf Deck unterbrochen.
Endlich erreicht der fürstliche Reisende Albany, welches durch Küstendampfer mit der Hauptstadt von Western Australia und mit Adelaide in Verbindung steht, und setzt hier seinen Fuss zuerst auf australischen Boden. Eine Wanderung durch das niedliche Städtchen ist mit viel Lebendigkeit und Gemüt beschrieben und giebt zugleich in gedrängten Zügen einen interessanten Beleg von der Urtümlichkeit der dortigen Zustände.
„Es fing an zu dämmern; kein Mensch war auf den Strassen zu sehen, ausser einem Jungen, welcher durch ein umzäuntes Grundstück ging. Wir riefen ihn an, um nach der Kirche zu fragen. Er wies auf ein Gebäude und antwortete auf die weitere Frage, ob man die Kirche besichtigen könne, der Geistliche wohne in einem etwas weiter oben gelegenen, kapellenartigen, von einem Kreuze überragten Gebäude. Die Thüren standen offen, kein Mensch war zu sehen. Auf einmal erscheint ein bärtiger Mann mit einem alten Cylinder, ein Gewehr erfassend, in der Thür – es war der Geistliche. Nachdem er uns erblickt und sich von seinem ersten Schrecken erholt hatte, erklärte er sich gern bereit, uns die Kirche zu zeigen. Es war ein Spanier aus Barcelona und schon seit dem Beginn des Kirchenbaues in Albany. Der Geistliche begleitete mich zur Post, wo ich meine Recipisse entgegennahm und bezahlte. Das Klima ist ein treffliches, kühl im Sommer und mild im Winter. Das Sandelholz aus den Wäldern im Innern, von welchem man in der Nähe des Landungsplatzes grosse Mengen aufgestapelt sieht, wird stark nach China exportiert.“
Am 7. Februar endlich trifft der erlauchte Passagier in Melbourne ein.
„Der Haupteindruck der Stadt mit den riesig breiten Strassen, welche meilenweit bergauf und bergab führen, ist angenehm und heiter; man dünkt sich in Amerika. Die Häuser sind alle sehr solid gebaut, die Magazine, worunter sich namentlich die Wollmagazine durch ihre Grösse auszeichnen, meist aus schwärzlichem, basaltartigen Stein. Trotz des hellen Sonnenscheines war die Luft kühl und an Staub war kein Mangel.“
„Nach dem Gabelfrühstück fuhren wir zu der in beherrschender Lage stehenden St. Patricks-Kathedrale, einem wirklich monumentalen Bau aus dem schwarzen Basaltstein und mit hölzerner Bedachung. Jeder von den Pfeilern, die das Hauptschiff von den Seitenschiffen trennen, wurde, wie eine Inschrift bekundet, auf Kosten eines andren Ortes Australiens aufgeführt.
Der grösste Teil des Tages ward in der Internationalen Ausstellung zugebracht, welche zu jener Zeit einen der grössten Anziehungspunkte Melbournes bildete. Mit Bewunderung erfüllt den Erzherzog der Besuch des Botanischen Gartens, der Universität, des Naturhistorischen Museums, des Statthaltereigebäudes, der Kunstgalerie, des Industriemuseums, der Bibliothek und anderer öffentlichen Bauten, welche, zumeist durch die Munificenz der Bürger, errichet, was Pracht und Grossartigkeit betrifft, ähnlichen Gebäuden im alten Europa durchaus nicht nachstehen. Und dazu das Eigentümliche der Naturumgebung, das Fremdartige der Tier- und Pflanzenwelt! Der fürstliche Reisende, angeregt durch tausende von neuen Erscheinungen, ist vom frühen Morgen bis spät abends auf den Beinen und versteht, von seiner Zeit den nützlichsten Gebrauch zu machen. Nichts bleibt unbesucht oder unbeachtet, was nur einigermassen der Aufmerksamkeit des Fremden wert erscheint. Interessant ist das Urteil, welches der hohe Reisende über die Ausstellung fällt. Er bezeichnet dieselbe im ganzen als sehr gelungen, namentlich, wenn man einerseits die Jungfräulichkeit der Gegend, in welcher sie stattfand, andrerseits die grosse Entfernung von den meisten ausstellenden Ländern berücksichtigt.
Selbstverständlich stand England, welches zu Hause ist, obenan; dann folgte, wie gewöhnlich bei jeder Ausstellung, Frankreich. Österreich war im industriellen Teile besonders reich vertreten und spielte eine treffliche Rolle; leider hatte man auch an der artistischen Ausstellung teilgenommen, und zwar mit nur drei Gemälden und alle drei schlecht.“
„Von Amerika waren bloss die Vereinigten Staaten, aber diese sehr reich, namentlich in Bezug auf Maschinen, vertreten. Am interessantesten für den europäischen Besucher blieben jedoch die Ausstellungen der sieben australischen Kolonien, welche um die Wette gearbeitet hatten, sich zu überbieten, und wo dem Besucher gleichsam mit einem Male ein Bild der märchenhaften Entwicklung und mächtigen Produktion jeder einzelnen Kolonie vor die Augen trat.
Von Melbourne wurde die Reise nach Tasmanien fortgesetzt und nach einer 49stündigen Dampferfahrt (450 Seemeilen) in Hobarttown gelandet. Während eines zwölftägigen Aufenthalts wurde die Insel in allen Richtungen durchzogen.
Wir fuhren nach Launceston, einer Binnenstadt am Tamar, dem Stapelplatz für den Nordteil der Insel, von dort nach dem 280 Meilen entfernten Melbourne, besorgten das Nötige und begaben uns nach dem Bahnhof zur Fahrt nach Sydney. Der Morgen war schön und äusserst lieblich, die Landschaft, im Gegensatz zu den sonnenverbrannten, dürren Weiseländern Viktorias, schöne, sorgfältig eingezäunte Wiesen, auf denen feiste Rinder und Pferde weideten, abwechselnd mit fruchtbaren, fleissig, namentlich mit Mais, bebauten Feldern, dann und wann ein nettes Häuschen oder eine waldige Lehne des üppigen Hügellandes. Alles atmete Frische und Lebensfülle. Wir erreichen Newtown; kurz darauf fahren wir in den einfachen Bahnhof von Sydney. Die Stadt scheint mehr anheimelnd zu sein als Melbourne. Die Strassen sind enger und weniger regelmässig, es trägt überhaupt den Charakter einer älteren Stadt, was es auch ist: das Boston Australiens.“ Unter den Sehenswürdigkeiten fesselt besonders die herrlich, in dominierender Lage sich zeigende Universität, ein prächtiger gotischer Bau, das kath. Kollegium, die Sternwarte, der Botanische Garten, das Ausstellungsgebäude Garden Palace u.s.w.
Nach grösseren und kleineren Ausflügen mit Naturbetrachtung und Jagd auf Papageien, Wallobies (Känguruhs) u.s.w. schiffte der Erzherzog sich am 24. März auf dem Dampfer „Zealandia“ ein zur Fahrt über den Grossen Ozean nach San Francisco. Unterwegs wurden noch der Hafen von Auckland auf Neuseeland und die Sandwichsinseln berührt.
Wir steigen in Honolulu ans Land und begeben uns zu der von französischen Mönchen ausgeführten katholischen Kirche. Dann fahren wir durch die eleganten Strassen mit prächtigen Häusern und Villen. Man sieht Kokospalmen und prächtige, säulenartige Arekapalmen mit breitem Stamm an ihrer Basis, Aralien mit ganzen Klumpen von runden Früchten, Pandanus mit ihren Früchten, die fast wie eine Ananas aussehen, beide jedoch unreif, dann fruchtbeladene Manzas und ganze Gärten von Bananen, dazwischen lilarote Glycinien, die sich blumenstrotzend an den Häusern emporranken, maulbeerartige Bäume, sowie verschiedene Ficusarten mit glänzenden Blättern. Dazwischen fliegt eine Menge schwarzköpfiger, brauner, mit weissgestreiften Flügeln versehener Minas mit orangeroten Schnäbeln und Füssen und diese lassen weithin ihren verschiedenartigen harmonischen Gesang erklingen. Eingeborene und Europäer treiben sich lärmend durcheinander, darunter Frauen, gekleidet in eine Art von zugeknöpftem Kaftan und Strohhüten mit einem bunten Bande und Federn, manchmal Pfauenfedern ringsum; sie haben etwas Lachendes und Heiteres in ihren sonst nicht schönen Gesichtern. Über ein Dutzend Knaben, mit einem schmalen Stück Leinwand um die Hüften, machen die Tane los und springen mit unglaublicher Gewandtheit ins Meer, das ihr Element zu sein scheint. Wir besteigen wieder das Schiff, am 12. April, und fahren Amerika entgegen, von verschiedenen Arten der Seevögel umflattert.
Die Überfahrt nach dem Goldlande war ziemlich günstig und daher sehr monoton. Doch gab es zuweilen Musik und Tanz, und eines Abends wurde ein Konzert zum besten der Witwen und Waisen von Schiffbrüchigen in New South Wales improvisiert. Endlich, am 20. April, wird in San Francisco gelandet, aber ohne Aufenthalt nach New-York weitergereist, weil Erzherzog Ludwig Salvator Kalifornien von einem früheren Besuch her schon bekannt war. Die Reisenden wählen die südlichere, wenngleich längere Route über Yuma, Santa Fé, Kansas City, Chicago und Detroit, um in der herrschenden Jahreszeit die kalten Gebirgszüge der Sierra Nevada und die Rocky Mountains zu vermeiden. Die Eisenbahnfahrt, obwohl nur flüchtig skizziert, giebt doch ein recht lebhaftes Bild von dem primitiven Zustande der Schienenwege im nordamerikanischen Westen.“
Wir kommen in Deming an“, berichtet am 23.April das Tagebuch, „einer improvisierten Ortschaft, meistens aus Zelten bestehend, von welchen manche recht gross sind und die Aufschriften tragen: Delmonico-Hotel, Model Boarding House“ u.s.w. Die Bevölkerung besteht aus einer gar wunderlichen Gesellschaft. Selbst Jungen, welche die Zeitung verkaufen, tragen einen Revolver bei sich. Auch die Bahnverwaltung kampiert nur; mehrere unbrauchbar gewordene Waggons sind auf einer Seitenlinie nebeneinander gestellt, rohe Holztreppen an dieselben gelehnt. In einem dieser Waggons befindet sich das Bureau, wo man die Billets verkauft, ein andrer, in welchem zwei freundliche Neger wirtschafteten, dient als Speisezimmer, in einem dritten ist das Telegraphenbureau untergebracht.
Am 25 April, auf der Fahrt nach Colorado, befanden sich die Reisenden auf der höchsten Stelle des Glorietagebirges, 7537 Fuss über der Meeresfläche.
„In grossen Windungen steigen wir allmählich durch das waldige Hochland hinab. Um 11 ¼ hörten wir einen Stoss, die beiden vorderen Maschinen gingen aus den Schienen heraus. Sogleich nahm man einen Telgraphendraht herab und telegraphierte nach beiden Seiten, ein Bahn-Velociped ging mit Blitzesschnelle ostwärts. Inzwischen kam ein Warenzug, dessen Maschine die Waggons zu der ersten Weststation zurückführte und allein wieder zurückkam, um zu versuchen, die erste Maschine heraufzuziehen. Bald langte die Hilfsmaschine von Osten, eine neue Maschine und Tender bringend, mit vielen Arbeitern an, welche den umgeworfenen Tender wieder zu befestigen trachteten. Um 3 Uhr war alles fertig und die beiden Züge dampften weiter. Nach achttägiger Fahrt, wobei wir nicht selten von Durst geplagt waren, langten wir in Chicago an, wo wir über hunderte von Schienen der nach allen Seiten sich hinziehenden Linien , die Masten der zahlreichen Dreimaster Lopper, im Nebel emporragen sahen.
Wir besuchen die prächtigen Gotteshäuser und orientieren uns dann über die Weiterreise. In den Stock Yards, einem wunderlichen, sehr schmutzig gehaltenen Platze, sahen wir, wie man die Schweine auf einer Riesenholzgalerie zur Schlachtbank treibt, schlachtet, aufhängt, aufsiedet, mit einem runden Dampfrechen aufhebt und einer Dampfmaschine zuwirft, welche die Tiere dreifach nach allen Seiten schert, dann, wie man sie öffnet, schneidet, salzt u.s.w. In einem andren Hause geschieht dasselbe mit den Ochsen – ein abscheulicher Anblick. Tags darauf passieren wir mit dem Bahnzug die Suspensions-Bridge: welch ein Anblick des grossartigen Niagarafalles mit der wie ein Faden aussehenden Brücke, der Wagen und den wirbelnden Rapids mit dem Elevator auf dem blattlosen Abhang, Schaudernd ist der Anblick von der Brücke, über welche der Zug langsam hinfährt und von welcher man hinunter in die schwindelnde Tiefe und auf die zerklüfteten Abstürze schaut.“
In New York besichtigt der durchlauchte Reisende die „Amérique“, wo man eben eine Kajüte für Sarah Bernhardt tapezierte, welche mit diesem Dampfer nach Europa zurückkehrte! Sehr bezeichnend bemerkt der Stewart, welcher den Prinzen herumführte: „Nous n’avons pas tout, mais nous avons le comfortable de la table!“ Der Franzose scheint ein Hauptgewicht darauf zu legen, selbst auf hoher See gut zu essen; der Engländer und Deutsche dagegen ziehen es vor, gut und sicher zu fahren!
Auch von einem scherzhaften Abenteuer weiss der Prinz während seines Aufenthaltes in New-York zu berichten. Als er eines Morgens in der Fifth Avenue ein schönes, auf das Sorgfältigste ausgeführtes Haus eines der reichsten Bürger von New-York eingehend besichtigte, ein spätgotischer und Renaissance-Bau, zu welchem manche der schönen Pfeilerchen und Reliefs des Dogenpalastes das Muster geliefert haben, bot ihm ein Mann 3 ½ Dollars pro Tag, wenn er als Steinmetz dabei arbeiten wollte, was jedenfalls der unparteiischste Beweis für das gesundheitstrotzende Aussehen des jungen Fürsten war, welcher selbst durch so lange Beschwerde und entbehrungsvolle Reisen an Rüstigkeit nichts eingebüsst hatte.
Endlich am 5. März, wird mit dem prachtvollen Dampfer „Republic“ die Rückfahrt nach Europa angetreten und am 14. Mai 1881 in Liverpool gelandet. In kurzen Intervallen reist nun der hohe Reisende mit seinem kleinen Gefolge über London, Paris, Turin und Mailand nach Venedig. Mailand prangte gerade im Festschmuck. Es war die Zeit der Ausstellung. „Wer an Italiens Entwicklung noch zweifelt“, ruft Erzherzog Ludwig Salvator begeistert aus, „der eile nach Mailand!“ – ein Urteil, welches die Italiener mit ebenso grosser Befriedigung vernahmen, als es wegen seiner Offenheit dem edlen Sprossen des toscanischen Fürstenhauses zur Ehre gereicht.
Mit der Ankunft in Venedig endet das Buch.
„Es giebt Städte, welche im Vergleiche mit anderen verlieren, Venedig gewinnt.“ Nach langer Abwesenheit, an einem prächtigen Mai-Abende, erschien es ihm doppelt schön. Voll innerer Befriedigung über die empfangenen Eindrücke und die gemachten Erfahrungen während einer fünfmonatigen Weltfahrt schliesst der Erzherzog, nach seiner reizenden Besitzung Zindis bei Triest zurückgekehrt, das Vorwort zu seiner Reisebeschreibung mit folgenden, für seine Geistesrichtung wie für seine Lebensanschauung bezeichnenden Worten:
„Mögen diese Blätter manche meiner Bekannten anspornen, den einen oder andren Winter zu einem ähnlichen Ausfluge zu verwenden, was für sie gesünder, lehrreicher und angenehmer sein dürfte, als das stille Hocken an einem unserer Winter-Séjours! Die Reisekosten betrugen für sechs Personen 50 000 Francs, sodass eine, die aus dem Alleinreisen erwachsenden Mehrhausgaben berücksichtigend, die Reise mit 10 000 Francs ganz gut bewerkstelligen kann!“
Zante, il fior di Levante – eine kleine Reise auf die Ionische Insel Zakynthos, die Ludwig Salvator 1904 einzigartig monografierte.
Das Ludwig-Salvator-Buchdigitalisierungsprojekt in Kooperation mit der Medienagentur Reithofer & Partner.
Im Frühjahr 2015 fand in Palma de Mallorca – Casal Solleric eine umfassende Ausstellung über Leben und Werk des Erzherzogs statt.
Herbert und der Archeduque – die erste deutschsprachige Filmdokumentation über EH Ludwig Salvator (1983).