ERZHERZOG LUDWIG SALVATOR Der Prinz des Mittelmeeres

LUDWIG - SALVATOR - GESELLSCHAFT

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Entourage
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Liparische Inseln Panorama 2
An Deck der Nixe 2
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Algerien145
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Son Marroig 8
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Pollara
Cann9sa-Brunnen
Cannosa neu

Schiffbruch oder ein Sommernachtstraum

Druck und Verlag:   Heinrich Mercy Sohn , Prag
Erschienen:                 1894

Oktav. 27 Seiten, 2 Illustr., einseitig bedruckt.

Detaillierte Schilderung des Schiffbruchs von Ludwig Salvators geliebter Dampfsegelyacht „Nixe“ vor der algerischen Küste im Juli 1894.

 

AUS DER BIOGRAFIE LEO WOERLS MIT ORIGINALZITATEN: 

Eine kleine Schrift, in welcher der Erzherzog jenen Schiffsunfall schildert, von welchem derselbe im Jahre 1894 an der nordafrikanischen Küste betroffen wurde, ist nicht sowohl um dieses Ereignisses willen hochinteressant, als vielmehr, weil sie wie keine andre Publikation des Erzherzogs seine persönlichen Gefühle, seine menschenfreundlichen Gesinnungen, seine liebevolle Fürsorge für seine Untergebenen und seine grosse Herzensgüte in sympathischer Weise erkennen lässt.

„Die Fahrt konnte nicht günstiger beginnen. Das Meer war wie polierter Stahl, glatt wie ein Spiegel, jeden Felsen, jeden Sprung desselben zurückgebend, und darauf lag die ,Nixe‘ und ihre Messingsachen glitzerten wie Gold und spiegelten sich, in gebrochenen Wellen, in der durchsichtigen Flut. Die silberfarbigen Fische umkreisten sie und die Kormorane hoben ihren langen Hals empor; sie schienen die alte Freundin zu erkennen, von der nichts Böses zu befürchten war, und tauchten nieder mit Behagen in die Flut oder schlugen ihre ausgedehnte Flügel gleichsam wie zum freudigen Grusse auf einer Felsenhöhe.

Die Ruhe der Natur wirkte auf mich belebend und stärkend. Wie wohl würde mir jetzt Ruhe thun nach monatelanger Arbeit, wie gerne möchte ich aus diesem Becher des stillen kontemplativen Meeresgenusses in vollen Zügen schlürfen! Aber der Dämon des Wandertriebes gönnt mir keine Rast. Hinaus führt es, hinaus in die Ferne, die mich mächtig anlockt. Wie viele Freunde, die mich erwarten! Welch süsses Wiedersehen nach Monaten, ja nach Jahren! – – – In mächtigem Bogen setzen wir den Bug gegen Westen; Flaggen hoben und senkten sich zum Grusse und auch die ,Nixe‘ senkte dankend ihre Flagge – es war ihr letzter Gruss.

Den meisten Leuten geschieht es, dass sie mit dem Zunehmen der Jahre von ihrer Umgebung weniger geliebt und geschätzt werden. Sei es Zufall oder Verdienst: ich nahm an mir das Gegenteil wahr. So setzten sich alle in den Kopf, dass die Navigation allein zu führen für mich zu anstrengend wäre, und überredeten mich endlich, einem hiesigen Kapiän, Rafael Vich y Rosello, einem seekundigen Manne, den Antrag zu stellen, ob er auf 14 Tage oder höchstens einen Monat mitfahren wolle.

Jahrzehnte waren vergangen, seitdem ich mich nicht auf der fahrenden ,Nixe‘ ausgestreckt hatte. Welch eine Fülle von Gedanken! Doch die Schraube trieb dahin und bald träumte ich von weissen Häusern, von Minareten und Palmenhainen. Um 1 Uhr war ich schon wach und stieg aufs Verdeck hinauf. Der Leuchtturm von der Punta d’Anciola war nahe in Sicht; wie oft hatte ich ihn freudig erblickt, als ich von Nordafrika nach Mallorca zurückkehrte Wir setzten Kurs auf Kap Caxine. Vich (der Kapitän) ging schlafen. Allmählich begann die Dämmerung heranzubrechen und bald stieg die Sonne klar aber weisslich am Horizonte empor. – – Ich liess das Verdeck waschen, denn es lag mir daran, dass das Schiff rein und sauber erscheine und Vich alles nett auf Verdeck finde – diese kleine Eitelkeit, diese Freude, die jeder Seemann über die Reinlichkeit und gute Pflege des eignen schwimmenden Heims empfindet. Ich liess sorgfältig selbst den wenigen Kohlenstaub, der sich in irgend einem Winkel angesammelt hatte, entfernen. Die gereinigten, frisch gefütterten Papageien in ihren Käfigen stiessen Freudenrufe über den anbrechenden Morgen aus, und auch der Affe mit seinen possierlichen Mienen und seltsamen Grimassen schien an der Freude teil zu nehmen; ja selbst der geschäftige Kohlenmann, welcher aus dem Kohlenraum emporschaute, war frohen Mutes und sang heitere venetianische Weisen, welche die Brise dahinführte – es war der Anfang der Heimreise…

Nur der, welcher es kennt, vermag es zu würdigen und zu schätzen, dieses freie Gefühl auf der Flut, in vollem Genusse der frischen belebenden Luft, welche die Brise auf offener See noch klärt und genussreicher macht. Sie wirkt, ich möchte fast sagen, stärkend, begeisternd und erquickend zugleich.“

Geraume Zeit ging der Erzherzog mit dem neuangeworbenen Kapitän auf Deck auf und ab und erklärte die verschiedenen Einrichtungen, welche dieser vollkommen entsprechend fand. Über die Lage von Kap Caxine und die dasselbe umringenden, teilweise unterseeischen Riffe schien der Kapitän im Zweifel zu sein; bald sollte er seinen Irrtum erkennen, das Schiff blieb an dem nämlichen Riff hängen, vor welchem der Erzherzog gewarnt hatte.

„Als ich einige Minuten später“, schreibt der Erzherzog, „auf Deck kam, war es leider schon zu spät, obschon ich die Maschine volle Kraft zurücksetzte. Die Schraube brach beim Zurückschlagen auf die Riffe, und der Kessel wurde durch F. Fusaris, des ersten Maschinisten Geistesgegenwart entladen, um thunlichst einer grösseren Gefahr vorzubeugen. Ich höre noch im Geiste die wuchtigen Schläge, wie sie an den Seiten der ,Nixe‘ pochten. Wie hart schlug das Eisen auf die kantigen Riffe! Ich höre noch das dumpfe Getöse, und mit Grausen denke ich an das springbrunnenartige Emporschnellen und Niederfallen der heftig anprallenden Wogen zurück, die unter dem Schiffskörper der ,Nixe‘ hervorbrachen. Das Meer von Osten liess das Schiff mächtig auf den Riffen hin- und herrollen, und ein starkes Leck öffnete sich in der Nähe der Kohlendepots. Es blieb nun nichts Anderes übrig, als eiligst zu den Booten zu flüchten. ,El Archidúque, el Archidúque!“ rief der arme Vich in seiner Verzweiflung. Ich bestieg das neue Boot, das kleinste der vier grossen, das ich vor Wochen erhalten hatte. Wer hätte geglaubt, dass mir dieses Boot, das ich vor wenigen Tagen noch so geschont hatte, Rettung bringen sollte! Die Taue wurden zerschnitten, das Boot senkte sich rasch hinab und fünf Männer warfen sich in dasselbe.

Die anderen Boote wurden von der übrigen Mannschaft bestiegen, sämtliche alte treue Diener, welche, zumeist Familienväter, schon viele Jahre in erzherzoglichen Diensten gestanden. Bei der Landung an der algerischen Küste war es ein eigentümlicher Zufall, dass zwei dortige Grundbesitzer menorquinischer Abkunft die ersten waren, welche dem Erzherzog die Hand reichten um ihm ans Land zu helfen. Aber die übrigen Boote waren verschwunden und obwohl am Ufer sofort mit Gras und Stroh ein Feuer gemacht wurde, um der Mannschaft als verlässiges Zeichen für eine geeignete Landungsstelle zu dienen, blieben doch die Boote ausser Sicht. Sie waren, vom günstigen Wind rasch getrieben, hinter das Kap gelangt.“

Der Erzherzog fährt fort:
„Wir liessen an dem kleinen Strande zwei Männer, die daselbst in Obacht des Bootes blieben, und fuhren alle gegen Algier zu. – – Endlich erreichten wir das Thor und hernach den Platz von Algier. Ruggero (einer der Bootsleute) hatte acht Duros bei sich, unser aller einziges Hab und Gut. Ich hatte die Absicht zu telegraphieren; da man aber spanisches Geld nicht annimmt, so ging ich in ein Kaffeehaus, um zu bitten, man möge mir Geld wechseln, was man mir jedoch verneinte. Einer der Gäste erbarmte sich meiner, und mit der Zusage, am folgenden Tage, falls sich ein Verlust ergäbe, denselben zu vergüten, erhielt ich für die acht Duros sechs Fünffrankenstücke. Nun fuhren wir zum Telegraphenamt und da telegraphierte ich an Vives (den Verwalter der erzherzoglichen Besitzung auf Mallorca): ,Glücklich angekommen. Glückwünsche für morgen.‘ Ich wollte nämlich, dass mein Telegramm früher ankomme als die Nachricht von dem Unfalle. Sodann eilte ich zum Hafen, um zu sehen, ob ich einen Schlepper bekommen könnte, um die anderen Boote, welche meine Hauptsorge bildeten, aufzusuchen.“

Nach mancherlei Bemühungen gelang es dem Erzherzog endlich, einen solchen aufzutreiben.

„Der kleine Schlepper ,Le Pilote‘, anfangs als Lotsenboot für Nantes gebaut, lag vor Anker und bald kam die Mannschaft desselben heran. Gute drei Viertelstunden mussten wir jedoch warten, ehe der notwendige Dampf erzeugt war, und als wir wegfuhren, dämmerte es bereits. Welch angstvolle Nacht!““In Algiers Hafen war es still und ruhig, nur die sanft auf und abgehenden Wogen bekundeten, dass draussen noch Ostwind herrsche, der, von Matifou zurückgehalten, in die innere Rhede nicht eindringt. Allein, wie wir ausfuhren, machte sich derselbe recht bald geltend, und ich hielt mich fest an einem Ständer, denn sitzen konnte ich nicht wegen der grossen Hitze, die von dem Kessel ausging. Wir fuhren weiter. Welche ängstlichen Momente! Werden wir die Boote wieder finden? Die Herren, welche mir meine Sorge und Bekümmernis ansahen, trachteten mich zu beruhigen und sagten, dass wir gewisse alle Leute finden und mit der ,Nixe‘ zurückkehren würden, wobei ich jedoch ungläubig den Kopf schüttelte. Ersteres hoffte ich, letzteres ist wohl unmöglich. ,Mut!‘ rief Schiaffino auf einmal, ,Ihr Boot schwimmt!‘ Aber mein Auge starrte nur auf die Meeresfläche, auf welcher ich keine Boote sah, und blickte gleichgültig auf das angebliche Schiff, das nur ein kleines Felseneiland war.

Kurz darauf sah ich sie aber, die arme ,Nixe‘, ihren Kamin, ihre Masten, ein kleines Stück Achter und noch ein Boot an den Krahnen. Gleichzeitig sah ich eines unserer Boote, das uns entgegenfuhr. Ich stürzte mich in ein Boot, das wir mitschleppten, um das entgegenkommende rascher zu erreichen. Kurz darauf erblickte ich Vichs livide Gestalt. ,Sind alle beisammen?‘ war meine erste Frage, ‚alle? Keiner verwundet?‘ – ,Niemand, todos buenos (alle wohl)‘ war die Antwort. Das Boot näherte sich, die Freude war zu gross. ,Gracias a Dios, Gracias‘ rief ich aus und meine Augen trübten sich und sahen erst das Licht wieder, als man mir Wasser auf den Kopf warf. Nun fuhr ich ans Land und sah sie alle wieder gesund, die ich möglicherweise verloren glaubte. Sie weinten, ich aber beruhigte sie und sagte, man würde ein neues Boot bauen, und sie mögen sich in das nahe Hôtel du Phare begeben, um dort inzwischen auszuruhen. Ich fuhr zu dem Schlepper zurück, dankte den Herren, die mich begleitet hatten, für ihre Freundlichkeit, meldete ihnen, dass alle meine Leute wohlauf seien, und sagte, dass ich über Land nach Algier fahren werde. Ich hatte die Absicht mich gleich nach Notre Damen d’Afrique zu begeben, um im Gebete für die Rettung aller zu danken. Ich stieg eine Weile, hatte aber nicht die Kraft, bis hinauf zu gelangen. Meine durch das Laufen und Stehen während der ganzen Nacht ganz schwach gewordenen Beine versagten mir den Dienst, und ich kniete auf dem ockergelben Boden nieder und betete angesichts der Kirche, mit den Gedanken in ihren heiligen Hallen.

Das Meer hatte sich beruhigt und ich fuhr wieder nach Kap Caxine, um die Schiffbruchstätte zu besuchen Neapolitanische Taucher waren bei der Arbeit, um thunlichst ein Paketchen mit 5000 Franken zu bergen. Ich fuhr zu denselben. Ein Buch von Menorca kam herauf, ohne Einband, und ich sah die bekannten Holzschnitte wieder, von der Flut durchblättert. Da kamen alte unterschiedliche Briefe und Papiere der Reihe nach aber noch immer keine Spur von meinem Gelde. Endlich wurden auch Schuhe ausgehoben und das Tuch, in welches Geld und Schuhe gewickelt waren, bald darauf der Kopf eines Antinous aus Neapel, eine geweihte Palme von Lipari, ein Hängteller, das Chronometer, ein Fernrohr und die Bambusstühle von Vives Kindern. Die Taucher wurden müde und wir kehrten ans Land zurück; ich sass eine Zeitlang am Ufer unter den geretteten Resten, darunter abgebrochene Bussolen, die man im Sande aufgestellt hatte. Da waren Fragmente eines Oberlichtes, ein Rettungsring, ein Seitenlicht und zwei Bildchen, von denen eines die bei ihrer ersten Fahrt, während ich sie in Alexandrien erwartete, vor Korfu strandende ,Nixe‘, das andre einen in seiner Einsiedelei betenden Eremiten darstellte. Ersteres hatte ich als warnendes Zeichen in meine Kajüte gehängt, letzteres als das, was mir erübrigen würde, wenn ich die ,Nixe‘ verlieren sollte; und wie staunte ich, von den vielen Bildern gerade nur die zwei geborgen zu sehen. Die Rahmen von Gips waren weich geworden und die Vergoldung klebte sich an die Hand. Ich legte beide Bildchen in den Schatten; aber siehe da, auch Bücher, Enveloppen! Unwillkürlich, mechanisch griff ich nach denselben, und das erste, das sich meinen Augen offenbarte, war Vives Bild, eine alte Photographie, die ihn noch als ganz jungen Mann darstellte. Da du in Wirklichkeit nicht mit mir bist, so erscheinst du wenigstens im Bilde, dachte ich mir, um mir Gesellschaft zu leisten! Ich trocknete das Bildchen, so gut es eben ging, und hielt es in meiner zitternden Hand; aber die Photographie trennte sich schon von der Pappe, ich nahm erstere und trocknete sie im Schatten eines Felsens und es schien mir, dass seine Augen mir Mut einflössten. Wie kommt es, dass du, der schon in allen Weltgegenden mit mir gereist, gerade diesmal nicht mit warst? Und doch bin ich froh, dass dir dies erspart blieb; aber wäre dein scharfes Auge, dein kluger erfahrener Blick da gewesen, das Alles hätte sich gewiss nicht ereignet! Und du warst doch vor meiner Abfahrt wieder an das Ufer gekommen, um mitzufahren. Denn es war dir bange, mich allein zu lassen. Heute ist dein Geburtstag, du feierst ihn im Kreise deiner lieben fröhlichen Kinder, und alle denken an mich und freuen sich über meine glückliche Ankunft in Algier, die ich euch telegraphisch mitgeteilt habe; denn ich wollte dir die Freude des heutigen Tages nicht verderben. Ich aber sitze nun hier, verlasse, ohne auch nur einen Schirm zu haben – denn all mein Hab und Gut, alles liegt unten in der Tiefe – unter sengender Sonne am einsamen Strande.

Es blieb mir noch eine Hoffnung, nämlich wenigstens die Maschine zu retten, und machte den Vorschlag, den Achterteil gegen 30.000 Franken zu heben. Dies war aber auch nicht gut möglich. Man wollte die Maschine allein, ohne den Schiffskörper, dann endlich nur in Stücken heben, und da nach dem Urteil eines französischen Marine-Ingenieurs die Maschine die Kosten der Bergung nicht mehr wert war, blieb alles unten in der Flut. Nur weniges haben die Taucher gerettet. Wie viele Kleinigkeiten liegen da unten, für immer unauffindbar! Das schöne Bordkreuz birgt nun die Tiefe, es bewacht die Brüche des trauten Bootes, das es auch so viele Jahre beschützt hatte. – Aber ein Trost erfüllt mich! Meine ,Nixe‘ sollte nicht wie ein andres Schiff enden, durch Alter gebrochen, in den Arsenälen abgetakelt und zu Eisenbahnschienen oder Häuserschwellen umgegossen werden, nein, sie sollte ganz, mit allem, was sie enthielt, zu ihrem Elemente zurückkehren, als echte Nixe zum Meere, und im Angesichte derselben afrikanischen Küste, wo ich sie in jugendlicher Frische vollendet zum erstenmale anlangen sah, sollte sie aus meinen Augen verschwinden, und während die weissen Mönche der Wüste auf der Höhe von Notre Dame d’Afrique Gebete für die im Meere Verblichene singen und die Brise weithin ihr andachtsvolles Gemurmel trägt, sinkt die ,Nixe‘ in die Tiefe, und an der Stelle, wo sie sich vor kurzem noch erhob, bleibt nur für wenige Sekunden ein Wirbel, aus dessen Mitte die Mastspitzen emporragen.

Und wenn ich auf die ruhige Flut hinabschaue, bildet mein beschleunigter Hauch konzentrische Kreise, die mich im kleinen an den Wirbel erinnern, in dessen Mitte die ,Nixe‘ zu ihrer Heimat zurückkehrte. Und doch, warum liebte ich sie so, warum Holz und Eisen gerne haben, ich, der so häufig gegen diesen Hang gesprochen und geschrieben hatte? ,Ich kann nur das wieder lieben, was mich liebt‘, sagte ich noch am Tage nach dem Schiffbruch, und doch fühlte ich für diese Planken etwas Eigentümliches, etwas nie vorher Gefühltes, als hätte ich sie wirklich geliebt. Nein, es war die Kette der Erinnerungen an liebende Wesen, die mich täuschte, ich liebte nicht die Planken, sondern die Wesen und die teueren Erinnerungen an jene, die auf denselben auch mich geliebt hatten. Und lebt diese Erinnerung nicht im Geiste? Was braucht Liebe für äussere Zeichen? Ist etwa dieser mächtigste Zug der Seele an rostiges Eisen oder morsches Holz gebunden? Oder ist es eine Fascination der Nixen, war mein Schiff wirklich ein verkörpertes Wesen?

Ein Meer von Erinnerungen knüpfte sich an die ,Nixe‘. Wie viele Hoffnungen, wie viele Ängsten, wie manches frohe Gelächter, aber auch wie viele Thränen! Wie viele Briefe, Skizzen, Bordjournale und Notizen, dazu auch Photographien, Bücher und Karten aller Art! Dort waren Krüge aus den Dardanellen, dort Hörner einer Gazelle, die mein Wüstenhund ,Sahab‘ fing, der so lange mit der ,Nixe‘ umherfuhr und jetzt kommen in mein Gedächtnis erst die vielen Hunde, die auf der ,Nixe‘ gelebt, ja auf derselben geboren wurden! Dort wieder die Hörner eines Steinbocks, den einer meiner Beduinen südlich vom Toten Meere erlegte; dieser wieder erinnerte mich an einen stürmischen Tag bei Abukir, an welchem der Kübel, in dem er auf dem Verdeck lag und befestigt war, von einer starken Welle weggewaschen, und von einer andren wieder an Bord gebracht wurde – ein gewiss nicht häufig vorkommender Fall! Da ein Stück Cylinderkolben zum Andenken an einen schweren Maschinenbruch bei Punta Samana in Albanien, wo die Cylinderkolben brachen, ich aber doch glücklich die ,Nixe‘ eine Zeit lang vom Sturme weitertreiben liess, dann ankerte und sie am folgenden Tage mit Segeln und der Barkasse in Valonas Ankerplatz brachte; dort Reliefpläne von den Liparischen Inseln und ein dort geweihter Palmenzweig, da wieder Seide, mit der die teuere Antonietta, dieses Ideal weiblicher Sanftmut, zu sticken pflegte, dort ein Haufen Bücher von Vives Kindern, mit denen sie sich während der Sommerfahrten unterhielten.

Und alle diese Erinnerungen sind jetzt unten in der Tiefe, und wenn ich an stillen Tagen in das blaue Meer blicke, so kommt es mir vor, als hörte ich Nixenstimmen und scherzende Worte emporkommen, sie lachen und kichern, sie sind fröhlich und heiter – ist es Traum oder Wirklichkeit? – als sagten sie: Jetzt ist dein Heim unser Hab und Gut, aber wir werden dir eine neue schönere ,Nixe‘ hinaufsenden, welche jugendsprühend und lächelnd, mit den Wellen scherzend und liebkosend, dich auf dieselben führen wird, bleibe nur den Nixen treu! Und die an den Riffen sanft brechenden Wellen scheinen zurückplätschernd auf die Flut ein tausendfaches Echo der letzten Worte zu wiederholen.

Ich komme mir so unbeholfen am Lande vor, wie ein Einsiedlerkrebs, der seine Schnecke verlor, die ihm seit Jahren als Gehäuse diente, und nun schüchtern herumkrabbelt, eine verlassene Murex oder eine Purpura suchend, in welche er sich wieder einnisten könnte. Denn das Boot war für mich kein blosses Bewegungsmittel, es war das eigentliche Haus, in welchem ich so lange geweilt hatte, das einzige Haus, in welchem ich mich wirklich heimisch fühlte; denn ich hatte das Gefühl, dass ich jederzeit damit wegreisen könne. Jetzt aber, wenn ich nachts erwache und denke, dass ich kein Boot mehr habe, mit dem ich fortwandern kann, so wird mir bange zu Mute, ein Gefühl der Furcht, der Angst bemächtigt sich meiner, das Zimmer kommt mir wie ein Gefängnis vor, und ermattet wieder einschlummernd, wiederholen unbewusst meine Lippen automatisch die Worte: ,Ein Schiff, ein Schiff!“

Der erzherzogliche Seemann hat sich in Bälde wieder ein schwimmendes Haus erworben, eine neue ,Nixe‘, und sich wieder jenem trügerischen und doch so verlockenden Elemente anvertraut, welches einen so unvergleichlichen und unbeschreiblichen Zauber auf alle übt, welche jemals das Glück langer Seefahrten genossen, welche so stärkend, belebend, und entzückend wirken. Und mit Begeisterung, ja es ist der Ausdruck innerster Empfindung, wiederholt der kaiserliche Prinz in seiner Schrift den poetischen Ausruf eines andren kaiserlichen Seemannes: *)

Hinaus, hinaus aufs weite blaue Meer,
Hinaus, wo Himmel nur und Welle,
Wo nie das Herz mir bang und schwer,
Zu Schiff, zu Schiff ist meine Stelle!

*) Erzherzog Ferdinand Max, Oberkommandant der österreichischen Kriegsmarin4″“